Zeitausfall in Zitronien

Limones - Donnerstag, 2. Mai 2013

Ich schaffe es endlich, aus Tulum abzuhauen! Gestern hat mir Christoph aus Münster so begeistert von Guatemala erzählt, dass ich so ein jucken im Knie verspürte. "Hau hier ab, alles ist besser als das hier!" impfte er mir ein.

Schon wieder Salsa-Kurs? Ich bin schon zu lange hier!

Dormitorio

Also Sachen langsam packen und los. Erstmal nach Mahahual. Das ist ein bissel weiter südlich, aber noch Mexiko. Im Minibus nach Felipe Carillo Sonstwas und dann mit dem nächsten nach Limones. Und dort ist dann die Zeit ausgefallen. So wie beim Stromausfall.

Chorizo-Spieß in Carillo. Yummy!

Um zwei Uhr Nachmittags komme ich in Limones an und es fährt erstmal kein Bus nach Mahahual. Erst um fünf, sagt ein Taxifahrer. Waaaaas, erst um fünf? Aber warum eigentlich "Waaaaas, erst um fünf?" Nee, is ja eigentlich ok. Dann eben warten.

Ich setze mich in ein Restaurant, dass wohl auch als Bushaltestelle dient. Es kommt keine Bedienung, die kennen das schon. Sie bleiben einfach von vornherein im Hinterzimmer sitzen. Die Wartenden wollen nix, sie wollen auch nur sitzen. Zwei Einheimische warten auch und wir blödeln ein bisschen auf spanisch herum. Sie glauben, dass der Bus um vier Uhr fährt. Oder erst morgen. Wir lachen.

"Mahahual debe ser muuuuy tranquillo, porque nadie puede ir alli." Mahahual muss seeehr ruhig sein, da man da ja nicht hinkommt, sage ich. Sie lachen.

Mahahual

Ich sitze, ich lese, ich rutsche mit dem Hintern vor, bis es nicht mehr weiter geht. Ich stehe auf, ich schleiche auf der verlassenen Straße herum. Hier ist echt nix los, obwohl es die Hauptstraße ist, die von Norden nach Süden führt. Hunde liegen rum. Hunde nerven sich gegenseitig.

Oder doch mit dem Taxi fahren? Aber das kostet soviel wie zwei Nächte Unterkunft in Mahahual. Und: warum nicht warten? Das Geld hätte ich, die Zeit habe ich aber auch. Und auch das Warten ist eine Erfahrung. Die Zeit scheint ausgefallen zu sein. So wie beim Stromausfall.

Hund und Käfer

Ich nicke weg. Fünf mal, zehn mal. Es beginnt zu regnen. Stark. Das Betondach ist undicht. Ich übe die Tropfen aus den Augenwinkeln fallen zu sehen und dann aufzufangen. Es klappt, manchmal. Blitze zucken zwischen Erde und Himmel. Gerade, senkrecht kommen sie runter. Einfach geradeaus ohne große Spirenzchen zu machen. 1 ... 2 ... 3 ... 10 Sekunden - Broaarrrrrr. Das Gewitter muss weit weg sein.

"Cuando vienen los Limones que van a Mahahual?" habe ich zu Beginn an der Haltestelle gefragt. Wann kommen die Zitronen, die nach Mahahual fahren? Ein schöner Versprecher.




Das Restaurant hat einen Aufsteller mit verblichenen CDs zum Verkauf. Die 20 größten Beatles Hits - instrumental. Die 20 größten Hits von irgendso nem Mexikano in Cowboydress. Die 20 größtens Hits von Maria Dolores De La Mierda.

Ich schleiche wieder zur Straße. Hebe einen Stein auf. Jonglieren?, frage ich mich. Ich drehe die Hand um, der Stein fällt zu Boden. Ich stehe ein paar Sekunden auf einem Bein. Ob man sich an das Betondach hängen kann, so mit den Händen... wie lange man das wohl aushält? In Budapest gibt es in der Stadt Touristenfänger, die geben einem 20 Euro, wenn man zwei Minuten an einer Stange durchhält. Wenn man es nicht schafft, muss man fünf Euro zahlen. Das packe ich doch locker! Das Dach ist zu hoch.

"Bushaltestelle"

Der Bus kommt, es ist vier Uhr. Er hält gegenüber auf der anderen Straßenseite. Der Fahrer steigt aus, setzt sich zu den Taxifahrern. Entspannt wie ein Flitzebogen ohne Sehne. Man könnte ja mal fragen, wann es losgeht... Aber wozu, fünf Uhr wird schon stimmen. Ich, wir, wir bleiben sitzen. Alles normal, alles im grünen Bereich.

Busse sind ständig gekommen, aber mit Chetumal als Ziel. Und mit Carillo als Ziel. Ein Obstverkäufer trottet zu jedem Bus hin und hält seinen Korb hoch, präsentiert seine Ware. Er hat die ganze Zeit nichts verkauft und sich jedesmal wieder hingesetzt und einfach nur gewartet. Davon kann man doch nicht leben, denke ich typisch deutsch. Aber scheinbar kann man ja doch davon leben. Zumindest von Tag zu Tag. Das reicht hier den meisten. Lebe den Tag.

Street Life bei den Zitronen

Ich kaufe eine Cola, denn ich fühle mich entkoffeiniert. Ich lese, diesmal ohne einzunicken. Kein Empfang. Kein Netz. Völlig ausgeliefert der Situation, ausgeliefert dem Nichtstun. Ich fühle, was diese Leute hier fühlen; wie sich das anfühlt. Sofern das überhaupt geht, mit einem Konto in Deutschland, dass noch ein paar Monate Geld spucken kann. Ich prüfe meine Haarfarbe. Grau, braun, nicht schwarz. Es hat sich auch kein Mexikaner-Schnauzer gebildet. Aber das Gefühl ... es ist gut ..., es ist ... friedvoll. Und es ist jenseits von langweilig. Es ist meditativ.

Pünktlich um fünf steigt der Busfahrer ein und macht einen U-Turn. Die beiden anderen steigen doch nicht ein. Sie warten wohl lieber noch ein bisschen, müssen wohl doch woanders hin. Geht das? Noch seltenere Busverbindungen, noch weiter vom Schuss und trotzdem erreichbar? Ich lächele und winke hinter der Scheibe, sie lächeln und winken zurück.

Der Busfahrer und sein Sohn sitzen vorne. Hinter mir noch ein anderer, ca. 10 jähriger Junge. Er schläft ein und schnarcht. Er grunzt wie ein Schwein und wacht davon auf. Der Fahrer könnte schneller fahren, aber er ist einfach zu entspannt.

Mahahual
Macho's

In Mahahual angekommen schlendere ich mit dem Rucksack die Promenade entlang, bis zu Macho's Bar & Hotel. Der Besitzer quatscht mit einem Tourist aus Mexiko-Stadt. Ich setze mich einfach dazu. Wir quatschen, wir lachen, ich schnappe dreckige Wörter auf. Ich sage nicht, dass ich ein Zimmer will. Ich sage gar nichts über meinen Anliegen. Denn ich habe kein Anliegen, zumindest genau jetzt gerade nicht.

Ich bestelle erstmal ein Bierchen.

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